Auszug aus diesem Blogpost vor 3 Jahren:
Ich erinnere mich an den 05. Juli 1999, diesen Tag vor 17 Jahren, ich war gerade 18, als wäre er gestern gewesen. Ich schminkte mich gerade bei meiner besten Freundin, in dessen Geburtstag wir in ein paar Stunden reinfeiern wollten. Es war ca. 21 Uhr, wir waren fröhlich und ausgelassen, als mein damaliger Freund plötzlich unten vor ihrer Tür stand. Zwischen uns kriselte es, ich trennte mich gerade von ihm, und ging runter, um zu erfahren, warum er mich hier aufsuchte. Er nahm mich in den Arm und sagte mir, meine Mutter sei Tod.
Ich weiß wie ich, ohne Geräusch schrie und zu Boden sank. Mitten auf der Straße. Ich lag einfach am Boden und konnte kaum atmen. Dieser Moment, ich werde ihn nie vergessen. Und während ich das schreibe, rennen die Tränen über mein Gesicht, denn es stimmt nicht, das Zeit die Wunden heilt. Ich fühle diesen Moment, jedes Jahr aufs Neue, als wäre es gestern gewesen. Und so unglaublich das klingt, ich habe nun schon mehr Jahre ohne Mutter gelebt, als mit.
3 Jahre sind seit diesem Blogpost vergangen. 20 Jahre lebe ich nun bereits ohne Mama. Und auch heute noch bestätigt sich mein gewählter Titel: „Warum Zeit nicht alle Wunden heilt.“ Meine Tochter wird in 3 Monaten 18. In diesem Alter wurde meine Mutter mir aus dem Leben gerissen. Auch sie kam, bereits sehr krank zu meiner Abschlussfeier. Sie war so stolz auf mich. Und jetzt, wo ich meine eigene Tochter, kurz vor ihrer Abschlussfeier, oder meinen Sohn mit seinen 16 so sehe, frage ich mich, wie meine kleinen Babies denn ohne mich überleben würden. Wie kann man weiter atmen, weiter leben, weiter lachen, ohne den wichtigsten Menschen in seinem Leben. Wer bringt ihnen noch all diese Dinge bei, die sie für ihr Leben brauchen? Zu wem gehen sie, wenn ihr Herz schwer ist?
Und doch, konnte ich weiter atmen, weiter leben, weiter lachen.
Je größer meine Kinder werden, desto mehr kann ich mich in die Schmerzen und die Gedanken meiner ALS kranken Mutter hineinversetzen, die sie sicherlich zahlreiche Nächte wachgehalten haben: „Wie wird es meine Tochter auffassen? Wie wird sie es meistern? Wer wird ihr in ihrem Leben zur Seite stehen? Wird sie wohl eines Tages Kinder haben und was wird sie aus ihrem Leben machen?“
Wie unfassbar traurig muss sie der Gedanke gemacht haben, niemals all das erleben zu können und was für eine große Angst muss sie vor meiner Traurigkeit gehabt haben? All diese Dinge kann ich nur Bruchstückhaft erfassen und doch sind diese Bruchstücke kaum zu ertragen.
Und heute?
Heute bin ich eine starke Frau, die gelernt hat mit Verlusten zu leben. Ich bin sehr sensitiv, was das Thema Krankheit, Tod und Alleinsein betrifft. Ich bin an diesen Herausforderungen meines jungen Lebens gewachsen und liebe es für meine Mitmenschen ein Zuhause zu schaffen, eine Familie. Ich liebe mein Leben, und das, was meine Mutter mir mitgegeben hat: Immer zu lachen, egal wie schwer es sein mag, an Träume zu glauben und sie zu leben, stark zu sein für meine Kinder, das Positive in allem erkennen, Familie zu schätzen und Freundschaften zu pflegen, mich selber lieben, so wie sie es tat.
Ich möchte abschließen, mit einer Frage, die mir gestern meine Freundin Marie stellte: „Was würdest Du Deinem 18-jährigen Ich gerne sagen?“ Und im gestrigen Stress, musste ich wirklich etwas nachdenken. Doch heute fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Wenn ich also die Zeit 20 Jahre und ein paar mehr Monate zurückdrehen könnte, um mein 18-jähriges Ich zu treffen, würde ich sagen: „Ich weiß es ist hart zu verstehen, aber deine Mama wird nicht mehr lange bei dir sein. Ich wünschte, ich müsste dir das jetzt nicht sagen und dein Herz schwer machen. Doch jetzt, wo du es weißt, fahre zu ihr und lebe jeden restlichen Tag mit ihr so bewusst es geht. Erzähle ihr von all den Dingen, die dein Herz schwer machen und lasse dich von ihr trösten. Rede mit ihr über all deine Träume und sage ihr was du vorhast in deinem Leben zu tun. Danke ihr für jedes Lachen, jede Berührung, all die tollen, positiven und starken Eigenschaften, die du von ihr bekommen hast. Reflektiere all deine Schwächen mit ihr und frage sie um Rat. Lass dir alles über das Kinderkriegen und Großziehen erzählen, du wirst dir in deinen Schwangerschaften so sehr wünschen, mit ihr darüber zu reden. Frage sie, wie sie mit der Trennung deines Vaters klargekommen ist und so schnell wieder vergeben konnte. Danke ihr immer wieder in Worten und Taten für alles, was sie geopfert hat, um dir eine unbeschwerte und glückliche Kindheit zu bieten. Sei auch in ihren Ängsten für sie da. Lacht zusammen und vor allem weint zusammen, denn die nächsten Jahre werden hart werden, doch nun ist sie noch da, um dich zu trösten und dir die Angst vor dem Alleinsein zu nehmen. Lebe die nächsten Monate mit ihr ganz bewusst und verabschiede dich dann, wenn es soweit ist, ganz bewusst. Lass sie in ihren letzten Stunden nicht allein. Du wist es sonst für immer bereuen. Und wenn der Moment dann gekommen ist, sage ihr, dass du sie immer lieben wirst, und lass sie gehen! Vielleicht kannst du es dir gerade nicht vorstellen, aber du wirst es packen. Du wirst wieder lieben und geliebt werden. Du wirst wieder lachen, oh, wie viel du wieder lachen wirst. Du wirst glücklich sein und die Schwere wird leichter werden. Zeit heilt keine Wunden, doch Zeit streckt den Schmerz, damit er sich nicht mehr so schwer anfühlt.“